Einmal auf dem Dach Europas, dem höchsten Gipfel der Alpen zu stehen, gehört für einen Bergsteiger einfach mit dazu. Auch wir hatten dieses Ziel ins Auge gefasst. Durch die Erfahrungen aus der Schweiz waren wir jedoch vorgewarnt. Der Mont Blanc ist besser erschlossen als so manch deutsche Kleinstadt. Die Bahnen schaffen Scharen von Touristen bis auf über 3.000 m und Unzählige begehen den Gipfel über den relativ anspruchlosen Normalweg. Kurz: Eine Horrovorstellung für jeden Bergliebhaber.
So wurde die Idee geboren, einfach jede Infrastruktur zu ignorieren und den Berg über eine alte Route zu besteigen. Wir erlebten eine einmalige Tour unter teils extremen Bedingungen und spürten einen Hauch von dessen, was eine Expedition ins Unbekannte mit sich bringt.
Die Route
Viele Wege führen nach Rom und ebenso auf den Mont Blanc. Aufgrund der Anreise aus Deutschland wählten wir Chamonix als Ausgangspunkt. Von dort gibt es zwei große Routen zum Gipfel. Der Normalweg (Gouter-Route) wurde von vornherein ausgeschlossen, daher schauten wir uns die Cosmiques-Route (ab der Bahnstation Aiguille du Midi) genauer an. Man kann diese Variante auch als Drei-Berge-Route bezeichnen, da man beim Aufstieg den Mont Maudit und Mont Blanc du Tacul überschreiten kann. Klingt gut.
Doch wie kommen wir ohne Bahn zur Aiguille du Midi? Ein Blick auf die Karte zeigte uns eine mögliche Route über den langen Mer de Glace-Gletscher. An dessen Ende befindet sich ein Gletschergarten und Klettersteige, die den Einstieg über die Felsflanken ermöglichen, da der Gletscher hier einst 100 m höher war. Knackpunkt des Zustiegs zum „Basislager“ unterhalb der Cosmiques-Hütte würde ein Eisfall sein. Dazu später mehr.
Zeitliche Planung
Wir planten reichlich Puffer ein, da wir nicht wussten was uns erwartet. Bis zum Basislager würden wir mehr als einen Tag benötigen. Den angefangen zweiten Tag könnte man zu Akklimatisierung nutzen und dann am dritten Tag auf den Gipfel steigen.
Das Wetter war grundsätzlich als gut vorausgesagt. Aber wie fast jeder Plan funktionierte auch dieser nur bis zum ersten Schritt auf unserem Weg.
1. Tag: Wetterumschwung
Der Beginn war recht angenehm und führte uns über schöne Wanderwege allmählich den Berg hinauf nach Montenvers. Dort angekommen blickten wir auf die traurigen Überreste des Mer de Glace. Der Gletscher hat die hohen Felswände glatt geschliffen, sodas hier Klettersteige eingerichtet wurden, damit man überhaupt absteigen kann.
Das war auch schon die einzige „Infrastruktur“, die wir bis zum Gipfel nutzen sollten. Langsam spürten wir auch die schwere Ausrüstung auf unseren Rücken. Neben Essen für 6 Tage brachten es pro Person auch Gaskartuschen, Kocher, Zelt, Schlafsack, Seil, Eisschrauben, Karabiner, Eispickel, Steigeisen, Helm und weitere Dinge auf über 20 kg.
Auf dem Gletscher ging es zunächst gut voran. Hier trafen wir auch die letzten Menschen, bevor wir bis zum Basislager niemanden mehr sehen sollten. Das Wetter durchkreuzte allerdings alsbald unsere weiteren Pläne. Heftiger Regen und ein Gewitter, welches in diesem Tal festhing, hinderten uns weiterzugehen. Wir bauten das Zelt auf, gerade rechtzeitig, damit nicht alles nass wurde. Gegen Abend beruhigte sich das Wetter wieder und wir konnten die absolute Stille und Einsamkeit der Bergwelt genießen.
Da der Himmel wieder aufzog, befestigten wir das Zelt zusätzlich und hackten „Entwässerungsgräben“ in das Eis um unser Zelt. Wir hatten beim Aufbau natürlich auch darauf geachtet, nicht weit und breit der höchste Punkt zu sein, aber dennoch einen respektvollen Abstand von den herabgefallenen Felsbrocken zu halten. In den ruhigen Stunden konnten wir eine vorzügliche Couscous-Variation genießen, bevor gegen Abend wieder Unwetter aufzogen und unser Zelt auf Herz und Nieren geprüft wurde.
Der erste Tag endete und wir waren auf sagenhaften 2.000 m steckengeblieben. Das Unwetter während der Nacht brachte uns um den Schlaf.
2. Tag: Eisfall
Regen, Sturm und Donner begleiteten uns die ganze Nacht und auch den Vormittag über. Wir blieben daher im Zelt. Gegen Mittag klarte es endlich auf und wir konnten unter wolkenverhangenem Himmel unseren Weg fortsetzen.
Wir durchquerten eine große Bruchzone, bevor der Mer de Glac aus dem Zusammenfluss von Glacier de Leschaux und Glacier du Tacul hervorgeht. Irgendwo rechts über uns, hoch auf den Felsen lag die Hütte Refuge de Lenvers des Aiguilles, welche über Leitern/Klettersteige zu erreichen ist. Die Bruchzone war gut überschaubar und man musste nicht zwangsläufig am Rand gehen, wo Firnfelder und Dreckhaufen einen kürzeren aber unschönen Weg ermöglichen. Die Kombination aus Firn und Dreck sorgte dort dafür, dass man einerseits die Spalten nicht sehen konnte und andererseits trotz Steigeisen keinen sicheren Tritt hatte.
Anschließend folgten wir dem Glacier du Tacul, das Eis war hier eben und nahezu spaltenfrei. Wichtig war jetzt: links halten, denn die nächste Spaltenzone versperrte uns in einiger Entfernung den Weg.
Und dann war er direkt vor uns: der Eisfall.
Es hätte notfalls die Möglichkeit gegeben, über Leitern auf der rechten Talseite zum Refuge du Requin aufsteigen, anschließend über die Felsen zu klettern und so zum oberen Ende des Eisfalls zu gelangen. Wir wollten aber unbedingt diese Erfahrung haben und suchten uns einen Weg.
Zunächst mussten wir dazu eine Spaltenzone auf der linken Talseite durchqueren, allerdings war das Labyrinth im oberen Bereich etwas unübersichtlich und wir mussten einige Male umkehren. Als die Spaltenzone irgendwann flacher und übersichtlicher wurde, konnten wir den Eisefall vollständig einsehen.
Wir sondierten die Lage und beschlossen den Eisfall auf der rechten Talseite in Angriff zu nehmen, da dieser dort weniger steil war. Daher querten wir am Fuß des Eisfalls einmal das spaltendurchzogene Tal. Am Fuße des Eisfalls und gleichzeitig am Fuße der Felsen angekommen, mussten wir uns anseilen, da Firnfelder die Spalten verdeckten.
An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass man auf dem folgenden Weg Glück und Pech haben kann. Nach Beschreibungen und Berichten wollten wir auf den Firnfeldern am Rande des Eisfalls diesen überwinden. Diese Firnfelder waren wegen des Regens der letzten Tage allerdings sehr ausgedünnt und lückenhaft. Wir standen daher mehrfach an Abbrüchen und Spalten, welche unabschätzbar tief/hoch waren. Das wahre Problem dabei war die einzige Alternative, welche wir nun hatten: wir mussten rechtsseitig an den Felsen klettern. Da der Gletscher hier lange gearbeitet hatte, waren die Felsen äußerst glatt und wir konnten oftmals nur mit den äußersten Spitzen der Steigeisen Halt finden. Die schweren Rucksäcke leisteten ihren Beitrag zum Dilemma. Die Rucksäcke wurden mehrfach zurückgelassen. Regelmäßig bauten wir mit Seil und Sicherungen (Eisschrauben, Bandschlingen, T-Anker, Rücklaufsperre, …) einen Weg.
Da Felsen, Firn und Eis hier ständig wechselten, kamen wir nur sehr langsam und unter großen Anstrengungen durch den Eisfall. Trotz aller Schwierigkeiten hatten wir noch Glück, denn kaum waren wir am oberen Ende angekommen, begann es wieder zu donnern und der Regen setzte ein. Wegen des kräftzehrenden Aufstiegs durch den Eisfall hatten wir das aufkommende Unwetter nicht bemerkt. Wir wussten, dass der weitere Weg sehr exponiert über weitläufige Gletscher führen würde. Bei Gewitter wäre das lebensgefährtlich.
An einer flachen Stelle, kurz nachdem von rechts der Glacier d’Envers du Plan kreuzt, bauten wir daher notgedrungen unser Zelt auf. Wir hatten dabei das Refuge du Requin noch im Blick und „über“ uns ragte ein Felsen auf (Petit Rognon). Das Gelände war hier immer noch zerklüftet und uneben, was uns allerdings Schutz vor dem aufziehenden Gewitter bot. Wir achteten darauf, nicht unterhalb eines Sérac oder direkt auf einer Spalte unter dem Firn zu zelten.
Es folgte eine weitere schlaflose Nacht bei Regen, Sturm und äußerst lautem Donner. Worauf hatten wir uns nur eingelassen?
3. Tag: Basislager
Aus bergsteigerischer Sicht hatten wir nocht nichts geschafft, waren aber bereits ziemlich entkräftet. Glücklicherweise hatten wir genug Essen dabei und konnten uns damit bei Laune halten. Regen und Donner blieben uns erneut bis zum Mittag erhalten.
Als wir endlich das Zelt verlassen konnten, mussten wir zunächst Schnee schmelzen, um etwas zum Trinken zu haben. Nachdem wir das Zelt abgebaut hatten, konnten wir uns anseilen und aufbrechen.
Das Wetter klarte nun endlich auf und wir hatten das erste Mal richtigen Sonnenschein.
Unser Weg führte uns über den Glacier du Geant. Rechterseits passierten wir La Vallee Blanche und den Felsen Gros Rognon, über den die Panoramabahn zwischen Frankreich und Italien fährt. Unter diesem Felsen befand sich eine Spaltenzone, welche wir im unteren Bereich durchquerten. Es folgte ein langer und abwechslungsreicher Marsch über den firnbedeckten Gletscher.
Um uns herum konnten wir die mächtigen Gipfel des Mont Blanc Gebietes bewundern, während es langsam aber sicher richtig heiß wurde. Wir waren von einem Extrem ins andere gekommen.
Am frühen Nachmittag erreichten wir schließlich das Basislager unterhalb des Refuge des Cosmiques. Endlich sahen wir auch wieder andere Menschen.
4. Tag: Akklimatisierung
Der Sonnenschein war – selbstverständlich – nur von kurzer Dauer. Da wir mittlerweile auch wieder mobiles Internet hatten, wussten wir, dass der 4. Tag bestenfalls bedeckt wird. Nach zwei schlaflosen Nächten beschlossen wir, den 4. Tag zur Akklimatisierung zu nutzen und den Gipfel am darauf folgenden Tag zu besteigen. Für diesen 5. Tag war auch besseres Wetter angesagt.
Da es vorerst nicht regnete, entschieden wir uns, die Route für die nächste Nacht anzuschauen und den Mont Blanc du Tacul zu besteigen, der ohnehin quasi auf dem Weg liegen würde. Dank des verlässlich schlechten Wetters erlebten wir erstmal Regen in 4.000 m Höhe.
Den Abstieg nutzten wir für einige Sicherungs- und Bergungsübungen im unteren Teil der vereisten und steilen Flanke des Tacul. An diesem Abend legten wir uns früh schlafen, da der Wecker um 1 Uhr in der Nacht klingeln würde. Für den kommenden Tag war gutes Wetter angesagt!
5. Tag: Endlich auf den Gipfel
Nach einem kurzen Frühstück und Tee konnten wir um 1:30 Uhr aufbrechen. In der Dunkelheit kamen wir sehr gut voran und die Flanke des Tacul war rasch überwunden. Allerdings wurde die Sicht im oberen Bereich wieder schlechter, oben angekommen herrschte starker Wind und die Sicht lag unter 5 m.
Der Weg führte nun zum Mont Maudit, an dessen Fuß die Sicht besser und der Wind schwächer wurde. Unterhalb der Flanke mussten wir einige Séracs queren und auf der rechten Seite der Flanke aufsteigen. Der Aufstieg erfolgt mit kreativer Wegfindung, denn das Wetter der letzten Tage hatte jede Spur verwischt. Wir erreichten die letzte Steilstelle vor dem Sattel in der Maudit-Flanke.
Das Eis war griffig, sodass wir ohne zusätzliche Sicherung die letzten steilen Höhenmeter zum Sattel überwinden konnten. Der Gipfel des Mont Blanc lag nun direkt vor uns. Allmählich kündigte sich auch der Morgen an. Vor den letzten Anstiegen erlebten wir einen traumhaften Sonnenaufgang, zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns im Col du Mont Maudit.
Der finale Anstieg zog sich sehr in die Länge, jedoch ohne technische Schwierigkeiten, wir mussten einfach nur weitergehen. Wir lagen gut in der Zeit und standen kurz vor 9 Uhr auf dem Gipfel – was für ein Ausblick!
In der Ferne sahen wir die hohen Gipfel der Schweiz, die jetzt winzig wirkten. Dass unsere Entscheidung, unseren eigenen Weg zu suchen richtig war, wussten wir als wir die Gouter-Route erblickten. Dort zogen Karawanen von Bergtouristen zum Gipfel hinauf.
Wir begaben uns nach einer kurzen Stärkung auf den langen Rückweg. Die Sonneneinstrahlung war erneut gnadenlos, doch wir kamen gut voran. An der Steilstelle des Maudit kam es zu einer Verzögerung, da sich dort auf- und absteigende Seilschaften trafen. Mit unserem 40-Meter Seil seilten wir uns in drei Schritten ab.
Einige heikle Stellen, Seracs und eine Lawine, welche vielleicht am Vortag abging, ließen wir hinter uns und hatten nur noch den Gegenanstieg am Tacul vor uns. Es folgte der finale Abstieg zum Basislager und ein verdientes Festmahl vom Gaskocher.
Ein Blick auf den Wetterbericht und uns war klar: jetzt reicht es! Für die kommenden Tage war erneut Unwetter angesagt. Wir hatten den Berg aus eigener Kraft und auf einer sicherlich sehr selten begangenen Route bestiegen. Wir wollten aber das Schicksal nicht herausfordern und beschlossen zur Aiguille du Midi aufzusteigen, um die nächste Bahn ins Tal zu nehmen.
Es bleibt der Stolz, dass wir es auf kreative Weise und unter widrigen Bedingungen auf den höchsten Gipfel der Alpen geschafft haben.
Wertvolle Erfahrungen wurden gesammelt und wir freuten uns schon auf die nächste Tour!
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